Dresdner Mahndepots – KUNSTPLAN

SÄCHSISCHE ZEITUNG FREITAG, 9. FEBRUAR 2001

SÄCHSISCHE ZEITUNG FREITAG, 9. FEBRUAR 2001

Gravuren des Krieges

56 Jahre nach der Zerstörung Dresdens werden bis zum 13. Februar 2001 an 56 Orten „Mahndepots“ in den Boden eingelassen. Ein Mahnmal, erarbeitet von der Künstlerinitiative Kunstplan.
Von Grit Mocci

Steine bergen Geschichte und Geschichten. Sie gilt es zu erzählen. Um zu erfahren, wie und warum die Menschen und die Dinge so geworden sind, manchmal verwundet, tödlich verletzt, ausgelöscht. Matthias Neutzner, Mitglied des Dresdner Vereins „13. Februar 1945“, ist mit der Problematik der Steine und Geschichten bes-tens vertraut. Besonders die des 13. und 14. Februar 1945. Kein anderes Thema wird in Dresden derart emotionsgeladen behandelt wie die Zerstörung der Stadt an jenen Tagen. Das Datum steht als Symbol, als Erinnerung und Mahnung gegen Krieg. Doch wie Erinnern, wozu und vor allem wo? Neutzner zweifelt an den jährlich zelebrierten Erinnerungsritualen, die 1995 angesichts eines abgeriegelten Stadtzentrums und verschlossener Kulturpalasttüren, hinter denen man Gedenkreden austauschte, bedenkliche Auswüchse erreichten. Er setzt sich dafür ein, die Symbolhaftigkeit der Zerstörung Dresdens, für Zukünftiges zu nutzen. „Aus der besonderen Geschichte der Stadt sollte ein besonderes Engagement für Gewaltlosigkeit, Versöhnung und Toleranz entstehen. Dazu braucht es eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte, die sich wiederum an vielen Geschichtsorten festmacht, auch abseits von Frauenkirche und Heidefriedhof.“ Gemeinsam mit Schülern dreier Gymnasien hat Matthias Neutzner sie gefunden, akribisch ihre Geschichten recherchiert und dokumentiert. 56 Orte wählte Neutzner aus. Unpopuläre Orte zumeist, auf wichtiger erscheinende wurde verzichtet, andere besonders hervorgehoben. „Diese Orte erzählen von der Geschichte Dresdens. Manche wurden von Bomben zerstört, manche zeigen durch ihre vorherige Bestimmung oder nachherige Verwendung einen Bezug zu den Ereignissen des 13. Februar.“ Manche stehen für Einzelschicksale, können jedoch für Tausende sprechen. Eine imaginäre Landkarte des Erinnerns spannt sich über die Stadt, verzeichnet Sammelstellen für Obdachlose und herrenloses Gepäck, Stellungen von Rüstungsbetrieben und Flakgeschützen, ein Judenhaus, die Absturzstelle eines britischen Bombers. „Mit den Verweisen auf Einzelgeschichten wird es emotional nachvollziehbarer, worin die Dimension des Geschehens besteht, was sich mit dem Begriff 13. Februar formuliert.“

Allein die formale Umsetzung, das Markieren dieser Dresdner Erinnerungsorte, überstieg die Kapazitäten des Dresden-Historikers. Neutzners Treffen mit der neugegründeten Initiative „Kunstplan“ erwies sich als glücklich, oder besser: als ideale Überschneidung zweier Anliegen. „Kunstplan“, eine offene Gemeinschaft derzeit aus den Künstlerbundmitgliedern Karin du Vinage, Arend Zwicker, Einhart Grotegut und Jens Herrmann, versteht sich als frei agierende Alternative zu einem von Strukturen beengtem Künstlerbund zwecks Verwirklichung künstlerischer Projekte. Diese müssen sich nicht zwingend im öffentlichen Raum entfalten, so präzisiert Jens Hermann, sondern vor allem von öffentlicher Relevanz sein.

Dank des künstlerischen Eingriffes sollen sich die markierten Erinnerunsgorte wie ein monumentales Netz über die Stadt spannen. Ein offenes System, das Jahr für Jahr um eine Koordinate erweitert werden kann. Ein Netz, das dichter und dichter geknüpft wird, je weiter man sich historisch entfernt. Die Denkmal-Lösung der Kunstplaner ist unerwartet, scheint minimalistisch und gibt sich gewissermaßen versunken: 56 Edelstahlhülsen nehmen den „geistigen Inhalt“ auf, die geschriebene Geschichte des Ortes, den sie wie kartografische Vermessungspunkte präzise markieren. In den Boden jedes „Mahndepots“ ist eine Nummer graviert, eine Identifikationsnummer. Bis zum 13. Februar 2001 werden die Mahndepots im Boden versenkt. Ebenerdig sichtbar bleibt allein die Gravur auf dem Verschluss. So soll ein flächendeckendes Mahnmal entstehen, das weiterwachsen kann und soll. Parallel dazu erscheint im PLUSZ-Magazin eine Bild- und Textdokumentation aller 56 Orte (siehe Unten). Außerdem entsteht eine Präsentation, die als Wanderausstellung das Projekt „Gravuren des Krieges“ öffentlich bekannt macht. „Wir hoffen auf Kommunikation“, sagt Jens Herrmann, „und Anregungen für neue Orte, mit denen wir das Netz enger knüpfen können.“